Ashcandras Macht

Nessaia hat alles verloren - ihre Familie, ihr Gedächtnis, ihre große Liebe.

Trotz aller Schicksalsschläge wird ihr jedoch schnell klar, dass es Dinge gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt. Nicht nur neue Freunde helfen ihr dabei, ihr Schicksal zu erfüllen - auch Seth ist noch immer bei ihr; mehr als ihr zunächst bewusst ist.

Als sie von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, überschlagen sich die Ereignisse.

Ashcandras Macht wird immer deutlicher. Plötzlich befindet Nessaia sich zwischen zwei Fronten - in einem fremden Land voller Magie und in einem Krieg, den niemand vorausgesehen hat.

Die Reise geht weiter

Leseprobe

Meine verklebten Augen ließen sich nur schwer öffnen. Ich fühlte mich schlaftrunken. Um mich herum lag eine Wand aus schwarzer Nacht. Mein Atem formte weiße Wölkchen, die zuerst ein Stück emporstiegen und schließlich vom Dunkel verschluckt wurden.

Eigentlich wollte ich um Hilfe rufen, brachte es aber nicht über mich. Hier war es so angenehm still. Es lag eine friedliche, beinahe selige Ruhe über diesem Ort. Kurz glaubte ich, das leise Heulen des Windes in der Ferne zu hören. Alles an mir war gefühlstaub – eigentlich ein schönes Gefühl. Ich roch den modrigen Untergrund, auf dem ich lag, und die nasse Erde, die mein Bett war. Kleine Äste bohrten sich in meine Seite und Kälte drang mir durch meine durchnässte Kleidung bis in Mark und Bein. Ich zitterte.

Trotzdem war ich nicht in der Lage mich zu bewegen – selbst das Atmen fiel mir schwer. Panik überkam mich, die aber sofort wieder verebbte. Irgendwie war es mir egal, dass ich hier lag; was mit mir passierte. Nach einigen Minuten überwand ich mich, zog behutsam die Knie an den Oberkörper und umschlang sie. Plötzlich raschelte es irgendwo hinter mir. Instinktiv hielt ich den Atem an. Vielleicht ein kleines Tier … vielleicht aber auch etwas Furchterregenderes?

Angestrengt kramte ich in meinem Kopf nach etwas, das mir half herauszufinden, wo ich war. Das Letzte, an das ich mich erinnerte, waren der Geruch von Zuckerahorn und das Gefühl des Windes, der mir ins Gesicht peitschte. Zu schnell verblasste die vage Erinnerungund meine Welt verschwand wieder in undurchdringlichem Nebel. Ich versuchte tiefer in meine Gedanken einzudringen, um einen kleinen Fetzen vielleicht belangloser Dinge zu erhaschen, doch da war nichts. Nichts außer dem Geruch der Bäume und der Kühle auf meiner Haut.

Mich erinnern zu wollen, erschöpfte mich mehr und mehr.

Trotz der Angst, dass ich vielleicht nicht wieder erwachte, wenn ich einschlief, schloss ich meine schweren Lider. War es eine Tragödie, wenn ich nicht wieder aufwachte? Wenn ich einsam und allein in diesem fremden Nichts starb? Ich fühlte mich niemandem verbunden, wusste nicht, ob mich jemand vermisste. Vielleicht gehörte ich nicht in diese dunkle, kalte Welt und es würde keinem auffallen, wenn ich sie still und heimlich verließ.

Als ich die Augen wieder öffnete, schienen zaghafte Sonnenstrahlen durch das dichte Blätterdach. Schnee war gefallen und rieselte sanft auf mich hinab. Die Bäume waren in ein samtenes weißes Kleid gehüllt; die Umgebung lag wie ein Märchenwald vor mir. Bei jedem Atemzug spürte ich die schneidende Kälte in der Lunge. Mir fiel auf, dass ich den Geruch von Tannennadeln und Schnee mochte. Völlig unerwartet machte mein Herz einen Satz und hinterließ in meiner Bauchgegend ein angenehmes Kribbeln.

Einen Moment lang ergab ich mich diesem Gefühl, obwohl inzwischen eine dünne Schneedecke meinen steifen Körper bedeckte. Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken. Ich musste doch hier weg! Langsam verschwand der Gedanke daran, von hier fortzugehen, obwohl ich krampfhaft versuchte, ihn festzuhalten.

Bedacht vergrub ich meine Finger im Schnee. Die Kälte war auf einmal wohltuend. Obwohl ich längst hätte erfroren sein müssen, fühlte ich mich nicht unterkühlt. Im Gegenteil: Mein Körper glühte förmlich. Kaum berührte ich die winzigen Schneekristalle mit den Fingerspitzen, verflüssigten sie sich. Durstig leckte ich die kühlen Tropfen ab. Es war mir selbst nicht klar, warum ich mich nicht einfach bewegte und nach meinen fehlenden Erinnerungen suchte. Ich spürte, dass es nichts mehr gab, das mich länger am Leben hielt, und so schloss ich wieder meine Augen und resignierte.

Es musste mitten in der Nacht sein, als ich kühle Hände unter meinem erhitzten Körper spürte. Wie spät war es? Ach, eigentlich war es egal. Jemand hob mich an und trug mich fort. Ich wollte mich wehren, aber meine Arme hingen nur schlaff hinunter. Ein dünner Schleier verhüllte meine Sicht, während ich versuchte zu erkennen, wer dieser Fremde war.